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Volkstrauertag

Meine Rede zum Volkstrauertag:

 

 

Liebe Hülsener Bürgerinnen und Bürger, liebe Freundinnen und Freunde,

 

wir haben uns heute hier versammelt, um der Menschen, die im Krieg und unter der Gewaltherrschaft starben, zu gedenken.

 

Ich erinnere mich, dass ich als Kind nach meinem Onkel Heinz fragte, einem Onkel, den ich nie kennen lernte. Die Antwort meiner Mutter war: „Heinz ist im Krieg geblieben“. Sie klang dabei traurig und gleichzeitig abschließend, sodass ich nicht weiterfragte, ob dieser Ort denn so viel besser als Zuhause sei. Als ich später verstand, was Krieg war, sah ich vor meinem inneren Auge einen Soldaten, der über Schlachtfelder irrt und einfach den Weg nicht findet. Noch später verstand ich, dass mein Onkel nicht freiwillig in einem Krieg geblieben war, sondern dort getötet wurde und nicht einmal sein Körper den Weg nach Hause fand. Es gilt noch heute als verschollen.

 

Auch in vielen Eurer Familien gibt es solche Geschichten, die von Gewalt, Verlust und Zerstörung handeln. Doch langsam verblasst das Erinnern, sowohl an Verwandte, Freunde und persönlich Bekannte, als auch an den Krieg und den Nationalsozialismus, an 65 Millionen Tote. Gedenkveranstaltungen wie diese rufen auf, kurz innezuhalten und sich all das Leid, die Zerstörung, die Angst und Trauer wieder vor Augen zu führen. Deshalb denken wir an die gefallenen Soldaten und getöteten Zivilist:innen, deshalb erinnern wir an Menschen, die in der Gefangenschaft oder auf der Flucht umkamen, an Männer und Frauen, die ihren mutigen Widerstand gegen die Diktatur mit dem Leben bezahlten. Wir erinnern uns an Menschen, die verfolgt oder ermordet wurden, weil sie als Jüd:innen oder Zugehörige ethnischer Minderheiten nicht in das rassistische Bild der Nazis passten.

 

 

Aber es ist nicht vorbei. Auch heute noch gibt es Krieg, Vertreibung, Ermordung und Verschleppung, Kasernierung in Umerziehungslagern. Die Bilder springen uns aus den Zeitungen, dem Fernseher, dem Internet an. Weit weg scheint es zu sein, nicht vor unserer Haustür. Hier gibt es nur ab und zu einen Verrückten, der auf eine Synagoge schießt, einen radikalen Gläubigen, der einen Weihnachtsmarkt angreift, Irre, die Waffen für einen Umsturz horten. Gruppen von Menschen, die keinem rationalen Argument, keinem vorgetragenen Fakt mehr zugänglich sind.

 

Um uns vor Krieg und Gewalt zu schützen, dürfen wir nicht in unseren Bemühungen nachlassen.

 

Demokratie ist Arbeit, Frieden ist Arbeit, Freiheit ist Arbeit. Alle drei müssen immer wieder verteidigt, erneuert, gelebt werden. Sie brauchen Menschen, die sie bewahren, schützen und stärken. Der Blick zurück, das Gedenken soll uns dabei Mahnung und Ansporn sein.

 

Berthold Brecht sagte: „Lasst uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind. Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie vorbereiten, nicht die Hände gebunden werden.“

 

Der Kampf gegen Hass, Hetze, Rassismus, Demokratiefeindlichkeit, Irrationalität, Klimawandel und das Corona-Virus hat seine Zeit genau wie das Gedenken. Und die Zeit für das Gedenken an frühere und aktuelle Opfer von Krieg, Vertreibung und Terror ist jetzt. Bitte haltet eine Minute mit mir inne.

Danke.